Den seit 12 Jahren andauernden Debatten um das Kopftuchverbot für Lehrerinnen an öffentlichen Schulen hat das Bundesverfassungsgericht mit dem jüngsten Beschluss einen korrigierenden Akzent hinzugefügt.
Mit diesem ersten Kommentar verbinden wir jedoch eine ambivalente Bewertung des Urteils. Die aktuelle Entscheidung zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des nordrhein-westfälischen Schulgesetzes und damit eines pauschalen Kopftuchverbots ist insoweit positiv, da sie das Kopftuch nunmehr eindeutig nicht als abstrakte Gefahr für den Schulfrieden bewertet. Gleichzeitig offenbart sie jedoch, dass wir noch lange nicht von einem entspannten und selbstverständlichen Umgang mit einer kopftuchtragenden Lehrerin ausgehen können. Denn unverändert bleibt die rechtliche Bewertung, dass das Kopftuch selbst eine nachhaltige konkrete Gefährdung des Schulfriedens verursachen können soll.
Außer Betracht bleibt bei dieser rechtlichen Würdigung indes, dass von dem Kopftuch selbst keine konkrete Gefährdung ausgeht. Vielmehr bringt die Lehrerin gerade mit ihrem Kopftuch zum Ausdruck, dass sie als selbstbewusste und selbstbestimmte praktizierende Muslimin ihrer religiösen Pflicht zum Tragen eines Kopftuchs nachkommt und gleichzeitig im Einklang mit der geltenden Rechts- und Verfassungsordnung mitten in unserer Gesellschaft lebt und arbeitet. Das Bild einer solchen in allen gesellschaftlichen Bereichen aktiven Frau entspricht gerade auch dem islamischen Selbstverständnis.
Eine konkrete Gefährdung des Schulfriedens kann die kopftuchtragende Lehrerin allenfalls durch ihr Verhalten oder ihre Äußerungen induzieren – ebenso wie jede andere Lehrerin und jeder andere Lehrer mit oder ohne religiöse Kleidung oder Motivation auch. Für solche Fälle sieht die geltende Rechtsordnung ausreichend wirksame Eingriffsmöglichkeiten vor, ohne dass ein gesetzliches Kopftuchverbot erforderlich wäre.
Gleichzeitig wird durch die Entscheidung das Problem vom Rechtlichen ins Tatsächliche verlagert, so dass eine kopftuchtragende Lehrerin unabhängig von ihrem Verhalten und ihren Ansichten als Ursache für die konkrete Gefährdung des Schulfriedens betrachtet werden kann, nur weil ihr äußeres Erscheinungsbild sie zum Ziel für vorurteilsbehaftete antimuslimische Anfeindungen durch Schülerschaft, Eltern oder Lehrerkollegium macht. Für den gesellschaftlichen Frieden in und außerhalb der Schule kann dies nicht zuträglich sein.
Deshalb fordern wir die Politik auf, durch die Aufhebung der entsprechenden Verbotsgesetze ein deutliches gesellschaftliches Zeichen zu setzen. Es muss Aufgabe einer verantwortungsbewussten Landespolitik sein, ihren Bürgerinnen und Bürgern beispielhaft vorzuleben, dass sie keine muslimische Frau aufgrund ihres Aussehens stigmatisiert. Sie muss deutlich machen, dass kopftuchtragende Frauen als Lehrerinnen aber auch in ihrem sonstigen gesellschaftlichen Wirken gleichberechtigte und würdevolle Bürgerinnen sind und als solche geachtet werden.
Sie muss in einer multireligiösen Gesellschaft deutlich machen, dass unterschiedliche religiöse Eigenarten und Merkmale ein selbstverständlicher Ausdruck unseres pluralistischen Zusammenlebens sind und dass unsere Verschiedenheit – gerade auch im Schulbetrieb – die Gelegenheit bietet, voneinander zu lernen und sich nicht gegenseitig als Gefahr wahrzunehmen.
Wir sind davon überzeugt, dass es in unseren Schulen und darüber hinaus in unserer gesamten Gesellschaft einen großen Rückhalt für dieses offene und auf gegenseitige Wertschätzung bedachte Zusammenleben gibt – die Politik sollte in allen betroffenen Bundesländern dem Rechnung tragen und die richtigen Schlüsse daraus ziehen.
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DITIB-Bundesverband
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